Olympia
Tod und Spiele!
Sport oder Geschäft? Radiobeiträge
Categories: General, Nachrichten

Die Elitisierung des Fußballs während der MännerWM 2014 in Brasilien

Radio Dreyeckland Beitrag vom 08.07.2014

give the stadium back

 

 

Wer sind diese brasilianischen Fußballfans, die so Stolz auf ihre Nationalität sind und die während der MännerWM in die Stadien gehen? Sie haben bereits mit Beschimpfungen der Präsidentin Dilma und mit Buhrufen bei der chilenischen Nationalhymne für Skandälchen gesorgt. Außerdem haben sie sich unfähig gezeigt, die brasilianische Nationalmannschaft in schwierigen Momenten anzuspornen…

„Hey Dilma, fick Dich!“

Das war beim Eröffnungsspiel in São Paulo, bei der die Fans die anwesende Präsidentin Dilma Roussef aus Gröbste beleidigten.

Die Antwort auf die Frage – wer sind die Fans? – hängt mit den Eintrittspreisen, welche die Internationale Fußballföderation FIFA verlangt, zusammen. Diese läßt die MännerWM 2014 im sogenannten „Land des Fußballs“ auf der Skala der beliebten Sportereignisse weit nach unten rutschen.

Mit Eintrittspreisen bis zu umgerechnet etwa 650 € läutet die MännerWM in Brasilien den Beginn eines Prozesses ein, der bekannt ist als Elitisierung der Stadien. Diese stützt sich auf die Idee, Arenen mit einer für Familien einladenden Atmosphäre zu bauen. Dürfte schwierig sein, ein „familiäres“ Ambiente zu schaffen mit mehr als 50.000 Menschen auf einem Haufen …

Gustavo Coelho ist Doktorant der Erziehungswissenschaften und forscht zum Verhalten von Fans und der Elitisierung von Stadien während der MmännerWM in der staatlichen Universität von Rio de Janeiro, UERJ. Für ihn ist das Stadion ein Ort, der geschaffen wurde, um den einen „lockeren Stil“ zu etablieren. Dabei sind gewaltsame Episoden Teil des Ganzen. Er hebt auch die Unterscheidung zwischen der Behandlung von politischen Demonstrationen hervor

„Die Architektur des Stadions ist eine Form, die die Gesellschaft gemacht hat – andere Formen sind z.b. traditionelle Feste, bei denen du auf den König schimpfen kannst undsoweiter – da wird die Hierarchie für eine begrenzte Zeit umgekehrt. Ein superbekannter Präsident läuft immer Gefahr, im Stadion beschimpft zu werden.“

In einem gewaltvollen Ambiente betritt die weiße brasilianische Elite ein Klima der Demonstrationen und bringt den Protest auf die Sitzplatzreihen der Stadien. Aber ist das alles wirklicher Protest oder einfach ein Mangel an Respekt?

Voll mit Regeln in Bezug auf verschiedene Aspekte – inklusive dem Punkt in die nationale Souveränität einzugreifen – hat die FIFA sich sehr locker gezeigt, bei der Frage, was im Stadion gesungen werden kann. Sehr viel lockerer als bei nationalen und Landesmeisterschaften…

Gustavo Coelho erklärt die Starrheit und Bürokratie, die von der Militärpolizei in den stadien durchgesetzt wird. Dies passiere aufgrund der Überreste der Militärdiktatur, die in der Bundesrepublik Brasilien immer noch existieren. Coelho erinnert, daß politische Inhalte im Stadion verboten sind.

„Unsere Erfahrung in São Paulo und Rio de Janeiro – abar auch im ganzen Land – zeigen, daß Brasilien einer der diktatorischsten Staaten ist in Bezug auf das, was in den Sitzreihen gesungen werden kann. Jedwede politische Aussage ist tabu – und die FIFA ist lockerere als unsere eigene Militärpolizei. Hier geht es nicht nur um eine formale Frage des Fanverhaltens – das ist eine richtige Diktatur. Wir dürfen nicht das frei ausdrücken, was uns die Meinungsfreiheit verfassungsgemäß garantiert.

Gemäß Coelho ist das nicht erst seit Beginn der MännerWM in diesem Jahr so. Anders als in anderen Ländern wird ein politischer Inhalt verboten – selbst wenn die Kritik von der eigenen Nationalmannschaft geäußert wird. Das sei eine der vielen Widersprüche der FIFA.

Eine Erhebung unter den Leuten, die sich die Eintrittspreise in den Stadien leisten können zeigte, was allgemein vermutet worden war – die Mehrheit erklärt sich als weiß und zugehörig zur Ober- oder Mittelschicht. Die Elitisierung des Fußballs ist besorgniserregend und wir wissen nicht, was nach der MännerWM 2014 kommt.

Währenddessen scheint es aber so, daß die Proteste auf der Straße und bei den Fanfesten viel „brasilianischer“ sind als der Sport an sich…

Repressives Gesetz in São Paulo durchgewunken

Am frühen Morgen des vergangenen Freitag, den 4. Juli, verabschiedeten die Abgeordneten in São Paulo in einer außerordentlichen Sitzung den Gesetzesentwurf, der das Recht auf Proteste einschränkt. Der Entwurf verbietet den Gebrauch von Masken bei Protesten und bestimmt die Erfordernis einer vorhergehenden Ankündigung bei Militär- und Zivilpolizei. Der Text verbietet auch das Beisichtragen von Objekten, die von der Polizei als Waffen eingestuft werden könnten. Laut der Menschenrechtsorganisation Conectas kommt dieser Angriff der Abgeordneten in der gleichen Woche, in der sechs Protestierende – zwei Anwälte eingeschlossen – während einer friedlcihen Demonstration verhaftet wurden. Die Verabschiedung des Gesetzestextes, der seit Februar diesen Jahres diskutiert worden war, haben die Abgeordneten beschleunigt und mittels eines Eilantrags in wenigen Stunden abgehandelt. Er muß nun noch vom Gourverneur des Staates São Paulo ratifiziert werden. Conects weiter: „Das ist ein weiteres Schritt in Richtung Kriminalisierung der zivilgesellschaftlichen Bewegungen in São Paulo.“ Es sei bedauerlich, daß dies ohne die gebührende Debatte geschehe. Conectas bezeichnet das Gesetz als verfassungswidrig; sie schränke das Recht auf Protest ein, welches Artikel 5º der Verfassung von 1988 gewährt. Der Gebrauch von Masken sei Teil des Rechts auf Persönlichkeit und der Meinungsfreiheit. Sie verhindere nicht, daß ein_e Demonstrant_in sich gegenüber der Obrigkeit ausweist. Auf der anderen Seite ist es offenkundig, daß Ativist_innen sich mit Masken und Helmen gegen die unverhältnismäßig oft und unzulässigerweise gebrauchten sogenannten „nicht-tödlichen Waffen“ der Militärpolizei schützen. Ähnliche Projekte werden derzeit in anderen Bundesländern diskutiert. Baden-Württembergische Verhältnisse…

 

Die Proteste am Rande der Fußballweltmeisterschaft der Männer in Brasilien

Radio Dreyeckland Interview mit dem Journalisten Nils Brock vom 07.07.2014

 

 

Man entgeht ihm nicht dieser Tage – dem Fußball. Hierzulande kann man derzeit alles möglich mit der WM begründen und es wird einem verziehen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat sich vor dem Beginn dafür eingesetzt, dass so genannte Arbeitgeber den Angestellten gegenüber nachsichtig sein sollten und flexible Arbeitszeiten zugestehen. Denn man müsse ja allen die Gelegenheit geben, die Spiele verfolgen zu können. So sieht Arbeitskampf in Deutschland im Jahr 2014 aus! Der Kampf um lebenswerte Zustände in Brasilien sieht da anders aus. Aber die WM überdeckt diese. Seit mehr als einem Jahr gibt es in Brasilien landesweit Proteste. Die größten seit Ende der Militärdiktatur in den 1980er Jahren. Die richten sich auch gegen die Fußball WM – könnte man oberflächlich sagen. Wir verlassen nun diese Oberfläche. Die Kolleg*innen von Radio Corax haben mit dem Journalisten Nils Brock, der zur Zeit in Rio de Janeiro ist, über die Proteste in Brasilien gesprochen.

 

Comments are closed.