Olympia
Tod und Spiele!
Geschichte

Olympia und Tschüß

30.08.89
Für eine gemeinsame Bewerbung West- und Ost -Berlins zur Ausrichtung der Olympischen Spiele im Jahre 2000 oder 2004 wird im Westteil der Stadt eine Projektgruppe eingesetzt.

08.01.90
DDR-NOK, der DTSB der DDR und Ministerpräsident Modrow stimmen der Idee zu.

16.01.90
Der Senat hat offiziell sein Olympiabüro eröffnet. Die Leitung des Büros übernimmt Staatssekretär Kuhn (AL).

20.08.90
Der Senat schließt das Olympiabüro und gründet die Olympia-GmbH als ständige Trägergesellschaft. Erste Gesellschafter sollen der Senat und der Landessportbund Berlin sein. Das Olympia -Büro wird am 1. Dezember, wenn die GmbH arbeitsfähig ist, offiziell aufgelöst. 51 Prozent der künftigen GmbH werden in den Händen des Bundes und der Stadt Berlin verbleiben. Der Posten des GmbH -Geschäftsführers wird öffentlich ausgeschrieben, um eine internationale Führungspersönlichkeit zu gewinnen. Dazu soll auch europaweit geworben werden.

25.10.90
Amtlich: Das Abgeordnetenhaus stimmt der Bewerbung für Olympia 2000 zu.

28.11.90
Lange zauderte die Alternative Liste (AL) Berlins in Sachen Olympia. Erstmals begründete die AL öffentlich ihre Ablehnung.

07.03.91
Der Senat bewirbt sich offiziell beim NOK für die Ausrichtung der Spiele im Jahr 2000.

11.04.91
L. Grüttke übernimmt für 290.000 Jahresgehalt die Leitung der Olympia GmbH und wird damit zum obersten Olympia-Manager der Stadt.

16.09.91
Für drei Tage tagt unter dem Schutz von 1.500 PolizistInnen das IOC-Exekutivkomitee im Grand Hotel in der Friedrichstraße. Bei anti-olympischen Aktionen und Demonstrationen zu denen das AOK (Anti-Olympia-Komitee) aufrief, werden 41 Personen festgenommen und zum Teil verletzt.

18.09.91
Eine vom Anti-Olympia-Komitee organisierte Fahrrad-Demo ist am abend gewaltsam von der Polizei aufgelöst worden. Nach Augenzeugenberichten schlugen die Beamten mit Gummiknüppeln auf die Demonstranten ein, ließen Luft aus den Schläuchen und zerstachen Reifen. Die Polizei hat mindestens 30 Demonstranten vorläufig festgenommen.
Mit der Demo protestierten rund 600 Radfahrer unter anderem gegen das gleichzeitig gelaufene Dinner für die IOC-Olympia- Macher vor dem Pergamon-Altar. Die am Oranienplatz begonnene Demo führte durch die Ostberliner Innenstadt. Begleitet von der neuen »Olympia-Hymne«, dem Lalülala und Blaulicht der Wannen, skandierten die Radler »No Olympic-City«.

20.09.91
Der wegen dubioser Vertragsabschlüße mit einer Werbeagentur in die Kritik geratene Chef der Olympia GmbH wird entlassen (Verdacht der Untreue). Sein Nachfolger: Nawrocki.

08.01.92
Handwerklich versierte Olympiagegner demontierten am Berliner Olympiastadion eine Gedenktafel, die an Carl Diem, den umstrittenen Generalsekretär der Olympischen Spiele von 1936 in Berlin erinnert, und nahmen sie kurzerhand mit.
In einem Schreiben bekannte sich eine Gruppe, die sich als Hommage an den ehemaligen Geschäftsführer der Olympia GmbH „Kommando Lutz Grüttke“ nannte, zu der Entführung und forderte eine Rücknahme der Bewerbung Berlins für Olympia 2000 als Voraussetzung für die Wiedererstattung des getäfelten Reichssportfunktionärs. Der Regierende Bürgermeister Diepgen solle den Verzicht auf die Spiele öffentlich bekanntgeben.
Für den Fall der Nichterfüllung der Forderung drohten die Olympia-Guerilleros die unbarmherzige Einschmelzung des Carl Diem an.

25.01.92
Die unbekannten Täter, die Anfang Januar die Carl – Diem-Gedenktafel im Olympiastadion gestohlen hatten, haben die Bronzeplatte nach eigenen Angaben inzwischen eingeschmolzen. In einem anonymen Schreiben behaupten sie, sie hätten die Tafel in »Krähenfüße« verwandelt.
Nach dem Diebstahl der 1,20 Meter hohen und 84 Zentimeter breiten nicht massiven Gedenktafel für Carl Diem, den Generalsekretär der Olympischen Spiele von 1936 in Berlin, hatten sie in einem anonymen Brief den Verzicht Berlins auf die Kandidatur als Olympia-Stadt als Preis für die Rückgabe der Tafel gefordert. In ihrem neuen Schreiben behaupten sie, der Senat habe ihnen »unter der Hand« 50.000 Mark für die Rückgabe der Tafel geboten. Ein Mitarbeiter des Senatspresseamtes wußte von diesem Angebot nichts.

02.92
Unter dem Titel „legale Aktionsformen reichen nicht aus“ rufen Autonome zu verstärkten militanten Aktionen auf, um das Olympia-Projekt zu kippen.

13.04.92
Berlins Bürgermeister Diepgen und IOK Präsident Daume geben die Olympia-Bewerbung für Berlin offiziell beim IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch in Lousanne bekannt.

09.07.92
Olympiabegeisterte oder olympiafeindliche Langfinger haben eine neue Disziplin entdeckt. Seit vor den Senatsdienststellen, Bezirksrathäusern und Sportinstitutionen der Stadt die Berlin-2000-Flagge mit dem Olympia-Maskottchen gezeigt wird, geht der Fahnenklau um. Selbst vor der Olympia GmbH an der Breiten Straße in Mitte holten Diebe das Stofftuch herab. Ebenso geschah es vor dem Rathaus Pankow, dem Landessportbund und dem Sportforum in Hohenschönhausen.

27.07.92
Die Anti-Olympia-Komitee verschickt einen Brief an die IOC- und NOK-Mitglieder:

      „Verehrte Damen und Herren des IOC, Ihnen muß doch die einseitige Korrespondenz mit käuflichen Politikern, Sportfunktionären und der Baumafia zum Hals raushängen. Mit diesem Brief meldet sich ein anderes Berlin: das Berlin des Protestes und des Widerstands gegen Reichshauptstadt und Olympia 2000: die Chaoten, Drop-outs, Punks, Lesben und Schwulen, die Alternativen, die Steineschmeißer, Feuerschlucker, die Malocher, die Armen, Säufer, die Verrückten.

Ihre Hobbies, verehrtes IOC- Mitglied, Ihre sexuellen Vorlieben, Ihre ideologischen Meinungen sind uns scheißegal. Das sollte Sie freuen.

One silver dollar

Aber trotzdem: auch wir geben uns die Ehre, Sie zu bestechen: In der Anlage finden Sie einen – echten – US-amerikanischen Dollar zur freien Verfügung.

Zugegeben: mit den 300 Millionen des Berliner Senats für die Olympia-Bewerbung können wir nicht konkurrieren. Wir haben viel Besseres zu bieten:
… Was ist schon eine langweilige IOC- NOK-Konferenz gegen das unverfälschte Erlebnis, mit einem Mercedes-Benz gegen einen echten Berliner Pflastersteinhagel zu fahren, wie es Ihre Kollegen beim IWF-Gipfel 1988 in Berlin taten?
Oder vielleicht schätzen Sie die Begegnung mit einem waschechten dickbäuchigen Kleingärtner, der Ihnen seine Argumente in Form eines Spatens um die Ohren schlägt?
Oder kommen Sie mit uns in die Slumgebiete des Berliner Stadtrands, in denen die hausen werden, die den Olympiabauten weichen mußten!

Natürlich hat es Ihr Oberhäuptling Samaranch da leichter: ähnelt die Nähe des Bundesgrenzschutzes und der Polizeitruppen doch so vertraut dem Männerklüngel der frankistischen Falange und der Guardia Civil.

Machen Sie sich auf etwas gefaßt: Wilde Horden und disziplinlose Banden stellen wir gratis, sie werden Ihren Aufenthalt zu einem prickelnden Erlebnis machen…

Votieren Sie für Berlin!!

Mit vorzüglicher Hochachtung, Ihr Anti-Olympia-Komitee

P.S.: Für den Fall, daß sie keine Lust auf Abenteuer haben und sich um ihr altersschwaches Herz sorgen und deshalb gegen Berlin stimmen, bitten wir um Rücksendung des beigefügten Dollars.“

06.10.92
Unbekannte Täter zündelten in der für die Olympia GmbH tätige Berliner Planungsfirma „Cad-Map“ an. Dabei fackelten Computer ab, mit denen das Unternehmen unter anderem digitalisierte Zeichnungen für die Architektur der Olympia-Bauten anfertigt. Von den Tätern waren zwei Brandbomben mit Zeitschaltung deponiert und Benzin verschüttet worden. Im Bekennerbrief der autonomen Olympiahasser heißt es hämisch: „Wer mit den olympischen Ringen spielt, verbrennt sich leicht die Finger. Wir wollen keine Spiele, weder in Berlin noch sonstwo.“ Eine „Autonome Gruppe Prenzlauer Berg“ bekennt sich.

  09.92
Die Bewerbung Berlins um die Olympischen Sommerspiele 2000 trifft auf immer weniger Zustimmung. Nur 47 Prozent der Berliner sprechen sich für, aber 49 Prozent gegen die Olmypia-2000-Pläne aus.

26.01.93
Auf 34 Fahrzeuge der Telekom mit Olympia-Werbung wurden Anschläge verübt. Die Autos, die in der Alexander-, Kloster- und Littenstraße abgestellt waren, wurden mit Parolen wie „NOlympia“ und „NO Berlin“ besprüht. Bei einigen Fahrzeugen wurden die Reifen zerstochen.

17.02.93
Offizielle Übergabe der Berliner Olympiabewerbung beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) .
Wie das Anti Olympia Komitee (AOK) mitteilte, schmuggelten sich seine Vertreter noch vor denjenigen der Olympia GmbH in das Gebäude des Internationalen Olympischen Comitees (IOC) und übergaben dort ein „Anti-Olympia-Bewerbungsvideo“ und Unterlagen, die den Rückzug der Bewerbung Berlins zum Inhalt hatten. Erst beim Eintreffen der „richtigen“ Olympia GmbH sei der Irrtum bemerkt worden. Die offiziellen Vertreter Berlins wurden beim Eintreffen vor dem IOC von etwa sechzig Gegnern der Spiele mit Transparenten und Sprechchören empfangen.

14.03.1993
Offenbar aus Protest gegen die Olympiapläne des Senats sind in der Nacht zu Montag in mehreren Bezirken 28 Filialen der Berliner Bank beschädigt worden. In acht Zweigstellen – darunter vier in den Bezirken Neukölln, Pankow und Schöneberg – wurden nach Angaben der Polizei die Scheiben eingeworfen, bei den anderen die Türschlösser verklebt. Drei Männer im Alter zwischen 18 und 23 Jahren wurden nach Aussage eines Polizeisprechers auf „frischer Tat ertappt und festgenommen“. Obwohl bis gestern noch keine Aussage der Beschuldigten vorlag, geht der Staatsschutz davon aus, daß die „Motivation der Anschläge im Zusammenhang mit Olympia 2000“ zu sehen seien, so der Polizeisprecher weiter. Ein Bekennerschreiben sei bisher nicht eingegangen.

08.03.1993
Nach vermehrten Anschlägen hat der Polizeiliche Staatsschutz eine Sonder-Ermittlungsgruppe eingesetzt. Diese soll Straftaten bekämpfen, die sich gegen die Olympia- Bewerbung Berlins richten.

05.04.1993
Rund 200 BBeamte stürmten gegen 20 Uhr ein besetztes Haus in der Schreiner Str.47, um ein einziges Anti-Olympia-Transparent zu entfernen, verhafteten 13 Personen und filmten die Räume, während Wasserwerfer und Schützenpanzer die Umgebung vorsorglich in Schach hielten.
Die Aufschrift lautete „Olympiabonzen angreifen – 17.-21.4. Aktionstage“. In dieser Zeit begutachtet eine IOC-Kommission den Stand der Berliner Bewerbung. Olympiagegner haben aus diesem Anlaß eine Vielzahl von Aktionen angekündigt.

13.04.93
Drei Tage vor dem Besuch des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) haben militante Olympia-Gegner Brandanschläge auf zwei Kaufhäuser verübt. Bei Hertie und dem KaDeWe entzündeten sich in der Nacht zum Mittwoch Brandsätze.
Bei Hertie in Neukölln brach das Feuer in der Herren-Konfektionsabteilung gegen 0.15 Uhr aus, der zweite Brandsatz explodierte knapp zwei Stunden später in der Teppichetage.
Ein „Kommando Axel Nawrocki“ bekannte sich telefonisch bei mehreren Krankenhäusern zu dem Anschlag. Axel Nawrocki ist der Geschäftsführer der Berliner Olympia GmbH. Die GmbH wird von beiden Filialen als Sponsor unterstützt.
Der in Neukölln entstandene Sachschaden wird von Hertie auf mehrere Millionen Mark geschätzt. Der Schaden entstand hauptsächlich durch das Wasser der ausgelösten Sprinkleranlage.

18.04.93
Rund 10.000 Menschen beteiligten sich an einer Anti-Olympia-Demonstration. Anlaß ist der mehrtägigen Besuch einer Prüfungskommission des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). Nach offiziellen Angaben wird der IOC-Besuch durch 4.500 Polizisten permanent „gesichert“.

19.04.93
Am Sonntag abend präsentierte sich der Kurfürstendamm in Grün- Weiß. Hunderte von Mannschaftswagen der Polizei parkten in fast ununterbrochener Reihe vom Breitscheidt- bis zum Olivaer Platz im Halteverbot. Sämtliche Quer- und Seitenstraßen wurden in diesem Bereich bis kurz vor Mitternacht für den Verkehr gesperrt, Cafés und Kinos blieben so gut wie leer.
Olympia-Gegner hatten auf der vorangegangenen Demonstration angekündigt, um neun Uhr die im Hotel Kempinski vermutete IOC-Prüfungskommission mit einem „Trommelfeuer“ zu begrüßen. Dazu kam es nicht, nicht einmal Trillerpfeifen waren im Umkreis des Hotels zu hören. Denn sowohl das Flanieren als auch die Kundgebung wurden durch eine neue Polizeitaktik verhindert.
Spät in der Nacht splitterten dann noch – weitab vom Ku’damm – am Prenzlauer Berg Scheiben einer Bank und in Kreuzberg die Schaufenster einer Hertie- Filiale.

20.04.93
Am mittag eroberten Polizeitrupps mit präsidialer Billigung Transparente an der FU sowie an der TU. Einen Tag lang flatterte am Mathematikgebäude in der Straße des 17. Juni „iih-ooh- zeh, Bonzen verhätscheln, bis sie quieken“. Ebenfalls nur einige Stunden hing am gegenüberliegenden Hauptgebäude der Universität aus den Fenstern der Juso-Hochschulgruppe und des Türkisch-Technischen Wissenschaftszentrums ein Transparent „Heil Samaranch“.
Ebenfalls entfernt wurde ein Bettlaken am Institut für Soziologie. Zu lesen war „IOC- Bonzen angreifen, Olympia verhindern“.

20.04.93
Heftige Auseinandersetzungen mit der Polizei am Montag abend bei einer nicht angemeldete Fahrraddemo von Olympiagegnern. Dabei wurden nach Angaben der Polizei 40 Menschen festgenommen. Die rund 500 Personen waren vom Alexanderplatz zum weiträumig abgesperrten Zielpunkt Hotel Kempinski gestartet, wo zur gleichen Zeit Bundesinnenminister Rudolf Seiters eine IOC-Delegation zum Essen geladen hatte.
Gegen elf Demoteilnehmer ist ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden.
Die Demonstranten hatten mehrfach versucht, über Nebenstraßen zum Hotel vorzudringen. Unsanft wurden die Olympiagegner vom Rad geholt; nach Darstellung der Demonstranten wurden dabei auch zahlreiche Drahtesel demoliert. Drei Demonstrantinnen wurden außerdem verletzt, als in der Hardenbergstraße ein Autofahrer die Nerven verlor und sieben Fahrradfahrer anfuhr. Auch sechs Räder wurden dabei total zerstört.
Im weiteren Verlauf teilte sich die Fahrraddemo. Rund die Hälfte der Teilnehmer fuhr zum Schloß Bellevue. Dort kam es erneut zu einem Polizeieinsatz, nachdem Leuchtspurraketen gezündet wurden. Die Polizei verfolgte die Demonstranten anschließend bis in den Ostteil, die letzten Festnahmen fanden in der Otto-Grotewohl-Straße statt.
Nicht nur Olympiagegner hatten unter dem massiven Sicherheitsaufgebot zu leiden. Die Prominenz im Hotel Kempinski mußte ungewohnte Leibesvisitationen über sich ergehen lassen.

23.04.93
Eine „Volxsportgruppe NOlympisches Feuer“ hat sich zu dem Anschlag auf Telekom-Fahrzeuge im Berliner Bezirk Wedding bekannt. In einem eingegangenen Schreiben wenden sich die Autoren gegen die Beteiligung der Telekom an der Berlin 2000 Marketing GmbH. Weiter heißt es: „Volxsport statt Olympia“. Bei dem Anschlag in der Nacht zum Mittwoch waren zwei Fahrzeuge ausgebrannt und zwei weitere beschädigt worden. Die unbekannten Täter hatten nach Angaben der Polizei die Fahrzeuge mit Benzin übergossen und wuusch !!

14.05.93
Die für den 17. Mai geplante Veranstaltung mit IOC- Mitglied Thomas Bach zur Zukunft der Olympiade wird nicht stattfinden. Das teilte gestern das Institut für Sportwissenschaft der FU mit. Ausschlaggebend dafür seien Sicherheitsbedenken.

08.07.93
In Osten Berlins blieben die Fernsehschirme fast überall schwarz: Unbekannte hatten in der Nacht Telekom-Empfangsanlagen zerstört, was zu einem Totalausfall des Kabelfernsehens führte. Das Motiv sei unklar, teilte ein Telekom-Sprecher mit, es seien aber Aufkleber der Anti-Olympia-Bewegung gefunden worden. Der Schaden betrage rund 100.000 Mark.

11.08.93
Sechs Wochen vor der Entscheidung über die Olympischen Spiele 2000 haben militante Olympia- Gegner ihre Drohungen gegen IOC-Präsident Antonio Samaranch verschärft. In einem „offenen Brief“ warnten sie Samaranch vor einem Besuch in Berlin zum Leichtathletikfest ISTAF Ende August. „Dieses Mal werden es nicht nur Eier sein… Wir haben andere Mittel“, heißt es in dem auf englisch verfaßten Brief, als dessen Absender ein „Begrüßungs-Komitee“ zeichnet. „Ihre Anwesenheit ist in Berlin nicht erwünscht“, schrieben die Olympia-Gegner Samaranch, dem sie seine Vergangenheit unter Franco vorhalten. Die Anti-Olympia-Koordination, der zahlreiche politische Gruppen und Bürgerinitiativen angehören, betonte, das Schreiben stamme nicht von ihr.
Bereits Ende Juni war ein Anti-Olympia-Flugblatt von Autonomen verbreitet worden. Darin hatte eine „Autonome Gruppe mit Kneifzangen gegen Olympia“ eine massive Sabotage von Olympischen Spielen angekündigt. „Wir werden dafür sorgen, daß (…) die Spiele in Berlin für Euch und die Sponsoren zum Alptraum werden“.

01.09.93
Zu den Brandanschlägen auf zwei Fahrzeuge des Privatsenders „Hundert,6“ hat sich ein „Autonomes Kommando Unkraut Ex für 100,6“ bekannt. Falls Berlin den Zuschlag für Olympia erhalten sollte, kündigt das Kommando in einem Bekennerschreiben an: „Wir sind in der Lage und willens, Olympia in Berlin zu einem flammenden Fest werden zu lassen.“

14.09.93
Im Mehringhof eine VV statt, auf der auch die bisherige Anti-Olympia-Kampagne ausgewertet werden soll. Zuvor steigt in der Kreutziger Straße im Bezirk Friedrichshain ein antiolympisches Straßenfest mit Live- Musik.

15.09.93
„Berlin 2000 – NOlympic City“: Hinter diesem schlichten Titel verbirgt sich eine 42seitige Hochglanzbroschüre in Vierfarbdruck, die bereits an die 91 IOC-Mitglieder verschickt wurde, die am 23. September in Monte Carlo über die Vergabe der Spiele zu entscheiden haben.
Die Sieger der Spiele stehen für die Olympiagegner bereits fest: Die Bevölkerung Berlins und „ihre unnachgiebige Opposition gegen die Durchführung der Spiele“.
In Aufmachung und Stil der offiziellen Bewerbung nachempfundene Broschüre werden insbesondere die militanten Aktionen der Berliner Olympiagegner dargestellt, reich bebildert und deutsch und englisch kommentiert. Vordergrund.
Die Botschaft: Die Spiele im Jahr 2000 in Berlin sind nur um den Preis polizeistaatlicher Maßnahmen oder psychischer und physischer Beeinträchtigung der Funktionäre durchzuführen. So zeigt ein Vierfarbfoto den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen während der Auseinandersetzungen bei der „feierlichen“ Grundsteinlegung für die Radsporthalle im Prenzlauer Berg. In der Bildunterschrift heißt es: „Olympiagegner versuchen den Regierenden Bürgermeister von Berlin (…) anzugreifen.“ Ein anderes Bild zeigt in einer Fotomontage das KaDeWE, auf das im April vergangenen Jahres ein Brandanschlag verübt wurde, als burning departement store.
Gleichfalls mit dabei: Barrikaden in der Mainzer Straße, brennende Luxuslimousinen und jede Menge Straßenschlachten („a police van attacked by young people – Berlin“). In einer ausklappbaren Sonderseite werden die Aktionen militanter Olympiagegner minutiös aufgelistet. Auch hier ist Farbe mit im Spiel: So wurde aus Anlaß einer PR-Veranstaltung der Olympia GmbH im Hohenschönhausener Sportforum das Wasser im Schwimmbecken mit Leuchtfarbe eingefärbt. Für die Macher der Broschüre steht damit außer Frage, daß der „olympische Widerstand mehr ist als ein Strohfeuer oder die Politik einer Minderheit“.
Im Textteil der Broschüre, die für zehn Mark im einschlägigen Szenehandel zu erwerben ist, wird Berlin als Stadt beschrieben, die sich vor allem durch sozialen und kulturellen Kahlschlag auszeichne. Olympia spiele dabei die Rolle, als „Schmiermittel zur Durch- und Umsetzung einer Global-City“ zu wirken und Zustimmung bei der „Zurichtung einer Stadt nach den Bedürfnissen der Reichen“ schaffen zu wollen. Doch die Berliner Bevölkerung, so das Resümee, „ist nicht ruhigzustellen. (…) Im Gegenteil, geht alles so weiter, wird die Anti-Olympia-Stimmung im Jahr 2000 gewaltig sein“, heißt es unmißverständlich.

15.09.93
Nach mehreren Brandanschlägen auf Fahrzeuge von Olympiasponsor Telekom am Wochenende zündeten in der nacht drei Sprengkörper an Gebäuden der Berliner Bank, Daimler-Benz und einer Hertie-Filiale. Der Sachschaden betrug etwa 10.000 Mark. Alle drei Firmen sind Lizenznehmer der Olympia GmbH.

16.09.93
In der TU Berlin findet eine Großveranstaltung mit dem Titel „Olympiawahn und Leistungsterror“ statt. Themen sind unter anderem die olympische Architektur von 1936 am Beispiel des Reichssportfelds, der Sinn und Zweck der Paralympics sowie die Rolle des IOC.

18.09.93
„Olympia-und tschüß“, unter diesem Motto beteiligten sich an dem Zug vom Roten Rathaus zum Senefelder Platz in Prenzlauer Berg zeitweise bis zu 18.000 Menschen. Neben dem AOK riefen Bündnis 90/Die Grünen, die PDS und das Neue Forum auf.
Die Polizei hatte 3.000 Beamte im Einsatz. Und lief an einigen Stellen des Demo-Zuges sehr eng Spalier. Bei Vorkontrollen wurden zehn Personen festgenommen. Einige Farbbeutel flogen gegen das mit Gittern, Wasserwerfern und Räumfahrzeugen zur Festung ausgebaute Gebäude der Olympia GmbH in der Breite Str.

22.09.93
Am Vorabend der Entscheidung zur Vergabe der Olympischen Spiele 2000 gab auf der Place du Casino (Monaco) in Sichtweite des Hôtel de Paris, der Unterkunft des Internationalen Olympischen Komitees, kurz vor 19 Uhr eine Trillerpfeife das Signal. Wenig später löste sich die erste kleine Gruppe der NOlympics aus der Menge, rief „No Olympia in Berlin“ und warf Handzettel und Flugblätter in die monegassische Luft.
Die monegassische Polizei, die sich mit tatkräftiger Hilfe der französischen Elitetruppe CRS sofort auf die BerlinerInnen stürzte, konnte jedoch nicht verhindern, daß kurz darauf eine weitere Gruppe von Demonstranten auf den Platz stürmte, Transparente hochhielt und das Internationale Olympische Komitee mittels Knallkörpern um die geschätzte Aufmerksamkeit bat.
Eine halbe Stunde lang herrschte auf Monacos berühmtestem Platz Konfusion, Hektik und Geschrei. Die Sicherheitskräfte, die selbst Journalisten verboten, die Flugblätter von der Straße zu lesen, gingen gegen die 27 Berliner Demonstranten teilweise mit großer Härte vor. Ein Jubelberliner mit gelbem Bären-Shirt um den Bierbauch hingegen durfte einem NOlympioniken vor den Augen der CRS die Faust ins Gesicht schlagen.
Die Demonstranten wurden zusammen mit neun völlig unbeteiligten TouristInnen aus Bayern mit Blaulicht ins Polizeipräsidium am Jachthafen gebracht. Der Großteil von ihnen wurde bereits in der Nacht nach Frankreich abgeschoben. Zwei von ihnen sollen angeblich verletzt worden sein.

23.09.93
Über tausend Olympiagegner haben sich kurz vor 20 Uhr an der Oberbaumbrücke vor einer Videoleinwand versammelt und fiebern dem Olympia-Showdown entgegen. In den Seitenstraßen beziehen Polizeiwannen Stellung.
Etwa rund 800 NOlympics fiebern im ausverkauften Tränenpalast der bei einer Party der Entscheidung entgegen.
Gegen 20.15 Uhr : The winner is Sydney
Wenig später liegen auf der Falckensteinstraße ein paar Hindernisse auf der Fahrbahn. Die Polizei fackelt nicht lange und löst die Versammlung unter Schlagstockeinsatz auf.

Die Olympiabewerbung Berlins hat allein die öffentliche Hand nach Angaben des Senats knapp 56 Millionen Mark gekostet. Davon habe das Land Berlin 44,97 Millionen und der Bund 10,87 Millionen Mark getragen, teilte der Senat mit.
Kosten in Höhe von 250 Millionen Mark, wie sie von den Grünen angegeben worden waren, bezeichnete der Senat als falsch.

 

aus: TAZ / Interim 1989 – 1993

Quelle: autox