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„Dass ich misshandelt wurde, hat mit dem WM-Finale zu tun“
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kickDer Filmemacher Jason O’Hara wurde am Tag des WM-Finals auf einer Demo von der Polizei verprügelt. Das passiere in Brasilien täglich, sagt er. Wer hat Schuld? Wir alle.

 

 

 

(Jason O’Hara ist ein kanadischer Dokumentarfilmer. Er drehte während der Fußball-WM in Rio de Janeiro und wurde am Tag des Finals bei einer Demo von der Polizei zusammengetreten)(Jason O’Hara ist ein kanadischer Dokumentarfilmer. Er drehte während der Fußball-WM in Rio de Janeiro und wurde am Tag des  Finals bei einer Demo von der Polizei zusammengetreten)

 

 

ZO: Herr O’Hara, Sie haben eine Demonstration gegen die Fußball-WM am Tag des Finals mit der Kamera begleitet. Am Ende wurden Sie ins Krankenhaus eingeliefert. Was ist passiert?

O’Hara: Es war eine Gruppe von 500 Demonstranten. Schon bald gab es Zusammenstöße mit der Polizei und chaotische Szenen. Die Polizei feuerte Tränengas und Gummigeschosse. Das war ungefähr eine Stunde vor Anpfiff. Ein Großteil der Demonstration löste sich zu dieser Zeit auf. Ich lehnte mich in dem Tumult gegen eine Wand, um mich zu schützen und meine Speicherkarte in der Kamera zu wechseln. In dem Moment rannte eine Gruppe Militärpolizisten an mir vorbei. Einer der Polizisten hob plötzlich seinen Schlagstock und schlug auf mich ein, ich glaube auf meinen Arm. Nach diesem ersten Schlag machten auf einmal alle vorbeikommenden Polizisten mit. Vier oder fünf rannten an mir vorbei und versetzten mir einen Hieb mit dem Schlagstock. Überall am Körper, völlig schonungslos. Ich ging zu Boden. Dann fingen sie an, mich zu treten.

ZO: Diese Szenen sind nicht in dem Video zu sehen, das auf YouTube kursiert.

O’Hara: Das ging alles sehr schnell und ist leider nicht im Video zu sehen. Man sieht nur den letzten Schlag. Am Ende dieser Gruppenaggression kam einer der Militärpolizisten und zog mir die Kamera vom Helm. Dann kam der letzte Polizist und trat mir ins Gesicht – ohne jegliche Provokation. Das ist die Szene aus dem Video. Danach musste ein Notarzt mein Bein behandeln. Der Arzt sagte, dass der Knochen stark traktiert war. Ich musste ins Krankenhaus, um zu klären, ob etwas gebrochen war. Aber zum Glück ist nichts Schlimmeres passiert.

ZO: Denken sie, dass das ein gezielter Angriff gegen Sie als Journalist war?

O’Hara: Nein, das war Zufall. Ich glaube, ich war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. Ich habe schon oft ähnliche solcher Fälle erlebt.

ZO: Sie waren schon mit Helm und Gasmaske gewappnet. Ist das die normale Vorbereitung für eine Demonstration in Brasilien?

O’Hara: Ganz genau. An diesem Fall ist nichts besonders, außer dass es der Tag des WM-Finals war und ich dort als Ausländer zum Opfer wurde. Das ist ironisch, eigentlich ist es nämlich genau diese Ungleichheit, gegen die die Menschen auf der Straße protestieren. Ich als ausländischer und damit privilegierter Filmemacher habe offensichtlich mehr Rechte als die Brasilianer. Dieser ganze Medienzirkus ist irgendwie ironisch. Er verstärkt die Ungleichheit, gegen die protestiert wird. In so vielen anderen Fällen haben die Medien nichts getan. Es ist absurd, als Ausländer mehr Recht auf Gerechtigkeit zu haben als die Brasilianer.

ZO: Der Polizist, der auf sie eingetreten hat, wurde nun für tatverdächtig befunden und intern angeklagt. Ein weiteres Disziplinarverfahren soll klären, ob er vom Dienst suspendiert wird. Ein gutes Zeichen?

Jason O’Hara: Das ist für mich sehr widersprüchlich. Klar, es ist erst mal ein gutes Zeichen. Aber das ist eben nur ein Fall. Was ist mit allen anderen? Was wäre ohne die mediale Aufmerksamkeit? Es gibt so viele Fälle wie diesen, ohne Namen und ohne Strafverfolgung. Dass es hier anders lief ist reines Make-up, das ist PR. Schadensbegrenzung. Sie mussten etwas tun.

ZO: Im Video sehen Sie nicht sonderlich schockiert aus. War die ganze Situation wenig überraschend für Sie?

O’Hara: Ich war kein bisschen überrascht. Ich habe schon so viele ähnliche Vorfälle mitbekommen, auch viel schlimmere. Die Brasilianer leiden täglich unter dieser Art von Misshandlungen.

ZO: Welche Reaktionen haben Sie nach dem Vorfall erreicht?

O’Hara: Es war überwältigend. Ich habe unglaublich viel Unterstützung und Zuspruch bekommen. Ich bin persönlich berührt von dieser wundervollen Unterstützung.

ZO: Und die mediale Aufmerksamkeit? Hätten Sie die lieber nicht bekommen?

O’Hara: Das würde ich so nicht sagen. Ich sehe es als wichtige Möglichkeit, eine größere Diskussion zu beginnen. Wir müssen viel mehr über den sozialen Kontext reden, der zu diesen Vorfällen in Brasilien führt.

ZO: Der da wäre?

O’Hara: Das Polizeiwesen in Brasilien ist ein Erbe der Diktatur. Es ging darum, den Staat vor seinen eigenen Bürgern zu beschützen, dem sogenannten internen Feind. Was wir jetzt miterleben, ist die Rückkehr diktatorischer Praktiken. Die Menschen haben ein Recht, zu protestieren. Diese Menschen werden gewaltsam unterdrückt. Jetzt projizieren alle ihre Wut auf die paar Polizisten, die mich geschlagen haben, obwohl das einfach nur eine Gruppe Männer ist, die sich schlecht verhalten hat. Ich mache diesen Militärpolizisten gar keinen Vorwurf. Die Institution selbst ist krank und verseucht und muss neu aufgebaut werden. Die Polizisten sind nur ein logisches Produkt dieser Probleme. Und sie sind unterbezahlt und schlecht ausgebildet.

ZO: Kurz vor dem Finale hatte die Polizei in Rio de Janeiro 18 Aktivisten für einen Zeitraum von 72 Stunden verhaftet. Zur Begründung hieß es, dass gewaltsame Protestaktionen zu befürchten waren. Wie sehen Sie dieses Vorgehen?

O’Hara: Das ist in Brasilien kein Sonderfall. Aber es ist gefährlich. Die Menschen haben ein verfassungsgemäßes Recht zu protestieren. Und wenn ein Staat aus Protesten ein Verbrechen macht, provoziert das Radikalisierung.

ZO: Wovon handelt Ihre journalistische Arbeit genau?

O’Hara: Ich habe zwei Projekte in Rio. Zum einen den Dokumentarfilm, an dem ich seit 2010 arbeite. Ursprünglich sollte er sich um die Auswirkungen der Megaevents, also der WM und der Olympischen Spiele drehen. Aber bald hatte ich mich auf die gewaltsamen Zwangsräumungen konzentriert. Zum anderen habe ich einen Film gedreht, der ironischerweise von Polizeigewalt handelt. Vor allem von der Gewalt in den Favelas während der sogenannten Pazifizierungsprozesse.

ZO: Werden Sie auch Ihren eigenen Fall in Ihre Arbeit integrieren?

O’Hara: Das weiß ich noch nicht. Aber irgendwie ist er ja schon Teil der Geschichte. Ich habe viele der Proteste und damit viele ähnliche Vorfälle gefilmt. Ob es ich bin oder jemand anderes – ein großer Teil meiner Geschichte dreht sich um die Verletzung von Menschenrechten, die mit den Megaevents einhergehen. Die Tatsache, dass ich misshandelt wurde, hat etwas mit dem Fußballspiel zu tun, das ein paar Meter weiter gespielt wurde. Die Polizei wird auf die Straße geschickt, um den Status Quo zu verteidigen: das internationale Kapital, die Fifa, und alle damit verbundenen kommerziellen Interessen. Das heißt, als Konsumenten von einem solchen globalen Spektakel, wozu ich mich auch selbst zähle, sind wir involviert. Alle von uns, die die Spiele von unserem gemütlichen Zuhause oder der Bar nebenan aus verfolgen.

ZO: Fordern sie als Reaktion einen Boykott dieser Events?

O’Hara: Das ist weder realistisch noch wünschenswert. Diese Events haben eine großartige Seite. Ich fordere vielmehr, Fifa und IOC viel stärker unter Druck zu setzen und Gerechtigkeit von ihnen zu fordern. Und sich einzugestehen, dass wir involviert sind.

 

Interview / Quelle: Zeit Online

 

 

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